4

 

Im Speisesaal herrschte Hochbetrieb, als Byrum eintrat. Eine ganze Wand bestand aus Fenstertüren, durch die man den Jachthafen, den Strand und das schimmernde Wasser des Golfs sehen konnte. Ein heißer Wind wehte meerwärts und trug den Geruch der Sümpfe, der Pinien und des Öls herüber. Einige Boote steuerten mit geblähten Segeln auf den Hafen zu.

Beim Personal im Speisesaal sah Byrum keine bekannten Gesichter. Es war keiner der Kellner mehr da, die er und Steve bei der Eröffnung eingestellt hatten und die bei ihnen geblieben waren, obwohl sie sich nicht auf die pünktliche Zahlung ihrer Gehälter verlassen konnten und damals nur wenige Gäste da waren. Byrum kam sich plötzlich wie ein Fremder in einer Umgebung vor, die ihm einst wohlvertraut gewesen war.

Er bestellte sich an der Bar einen Whisky. Hier war mehr Betrieb als sonst. Die Gäste waren auffälliger angezogen, als es der gediegenen Atmosphäre des Pelikan angemessen war, und ihr Benehmen war zu geräuschvoll. Einige Callgirls mit zuviel Schminke und zuviel Schmuck fielen ihm auf. Die älteren Paare und die seriösen jüngeren, die früher den Hauptteil der Gäste gebildet hatten, waren nur noch vereinzelt zu sehen und schienen nicht recht in die veränderte Atmosphäre zu passen.

Byrum setzte sich und bestellte ein Abendessen. Er machte sich mit niemandem vom Personal bekannt. Der Barkeeper John war auch nicht mehr da. An seiner Stelle arbeitete ein Mann hinter der Theke, der wie ein Gangster aussah. Ein unsichtbarer Lautsprecher sorgte für Schallplattenmusik. Später sollte eine Kapelle zum Tanz spielen. Die veränderte Atmosphäre fiel Byrum auf die Nerven. Ungeachtet der überraschten Proteste der Kellnerin drang er schließlich in die Küche vor.

Er trug eine weiße Smokingjacke und schwarze Hose, dazu eine schwarze Schleife, und unter dem Jackett verspürte er das beruhigende Gewicht des Revolvers. Auch die Küche wirkte verändert. Die Küchenmaschinen und stählernen Vorratsbehälter schienen nicht mehr so glänzend wie früher.

»Pete! Pete Byrum!«

Albert DeVaux, der Küchenchef, war das erste bekannte Gesicht, das Byrum sah. Er war ein kleiner, dicker Mann mit schweißfeuchtem Mondgesicht, leuchtend weißer Schürze und hoher Kochmütze auf dem kahlen Schädel. Er eilte an seinen Untergebenen vorbei und schlug Byrum auf die Schulter.

»Da sind Sie ja wieder, mon ami! Der Seemann kehrt in den Hafen zurück!«

»Ja, aber es ist keine frohe Heimkehr, Albert. Hier hat sich viel verändert.«

Das Lächeln erlosch auf dem Gesicht des Küchenchefs. »Ja, das kann man wohl sagen. Aber sonst geht es Ihnen gut? Haben Sie Miß Dulaney schon gesprochen?«

»Ja. Clemi hat mir alles erzählt. Wie geht’s Ihnen, Albert?«

»Nicht besonders.« Er zuckte die Achseln. »Von allen Zutaten, die ich brauche, bekomme ich nur die Hälfte. Schrecklich sind diese Leute. Vom Kochen haben sie überhaupt keine Ahnung. Könnten nicht einmal eine Würstchenbude leiten. Nächsten Sonntag höre ich hier auf. Aber wenn Sie jetzt wieder da sind, wird vielleicht alles anders?«

»Wo ist denn Thayer?«

»Oben in seinem Büro. Haben Sie noch nicht mit ihm gesprochen?«

»Nur mit seinen Dreigroschenjungs«, sagte Byrum hart. »Also, lassen Sie den Kopf nicht hängen, Albert. Und hören Sie bitte noch nicht auf.«

»Wenn Sie meinen. Übrigens, falls Sie irgendwie meine Hilfe brauchen, Pete... Auf mich können Sie sich verlassen.«

Byrum stieg die schön geschwungene Treppe hinauf, die beim Umbau in ihrer alten Form belassen worden war. Der Ballsaal, der nach vorn hinausging, war geschlossen. Ein Mann saß in einem Damastsessel, den er hintenüber gekippt an die Wand gelehnt hatte, vor der Tür und las einen Wildwestschmöker. Die Smokingjacke paßte nicht zu dem primitiven, mageren Gesicht des kleinen Gauners.

»Das Spiel beginnt erst um zehn. Vorher darf niemand ‘rein«, sagte er.

»Wo ist Thayer?«

Der Mann deutete mit dem Daumen nach rechts. »Im Büro.«

»Ich sehe mir erst die Roulett-Tische an«, erklärte Byrum.

Er besaß Schlüssel für alle Türen des Pelikan. Der passende steckte bereits im Schloß der weißen Doppeltür, als der Mann mit wütendem Gesicht auf ihn zukam.

»Hören Sie mal, ich habe Ihnen doch gesagt, daß Sie hier nicht ‘rein dürfen.«

Er packte Byrums Arm mit hartem Griff. Byrum gab ihm einen harten Fausthieb in den Magen. Mit pfeifendem Geräusch entwich die Luft aus seinen Lungen, und er krümmte sich zusammen. Byrum gab ihm mit der Handkante einen Schlag ins Genick, fing ihn auf, als er zusammensackte, und ließ ihn in den Sessel fallen. Pfeifend sog der Bursche die Luft ein.

»Gestatte, daß ich mich vorstelle, mein Junge. Ich heiße Byrum. Peter Byrum. Und das nächstemal hältst du die Schnauze.«

In den glasigen Augen des kleinen Gangsters dämmerte Erstaunen auf. Byrum schloß die Tür auf und betrat das Spielkasino. Er knipste das Licht an.

Der Anblick, der sich ihm bot, verblüffte ihn. Hier hatte Thayer nicht mit Geld gespart. Byrum hörte, daß der Mann vor der Tür aufstand und mit unsicheren Schritten den Korridor entlangging. Byrums Blick wanderte über die neuen Roulett- und die anderen Spieltische zu der kleinen chromglitzernden Bar und den schweren Vorhängen vor den Fenstern. Ein schimmernder Kristall-Lüster hing von der Decke herab. In den neuen Bodenbelag sank man bei jedem Schritt tief ein.

»Byrum?«

Er wandte sich um. Alton Thayer kam im Rollstuhl über die Schwelle gefahren. Rudge folgte ihm. Thayers tiefe Stimme klang ruhig und nicht unfreundlich. Er lächelte sogar.

»Sie hätten ihm sagen sollen, wer Sie sind«, eröffnete Thayer das Gespräch. »Johnny bittet um Entschuldigung, aber er hat nur seine Anweisungen befolgt. Dieses Zimmer wird erst später aufgemacht. Aber ich habe Sie noch gar nicht willkommen geheißen, Byrum.«

Er streckte Byrum die Hand entgegen, doch dieser übersah sie geflissentlich. Byrums Augen waren ausdruckslos, als er den Mann betrachtete, diesen Söldling des Syndikats — den Mann, der nun sein Teilhaber war. Sogar im Rollstuhl war Thayer noch eine imposante Erscheinung. Eine dünne schwarze Decke verhüllte seine Beine. Seine Züge erweckten den Eindruck einer so steinernen Härte, daß Rudges Brutalität daneben wie die schwächliche Bosheit eines kriminellen Jugendlichen wirkte. Thayers helle Augen erwiderten Byrums Blick mit leichtem Spott. Als er die Hand zu Rudge hob, leuchtete ein großer Brillant an seinem Finger auf.

»Sag dem Personal, daß Mr. Byrum da ist, Charley, damit es nicht noch mehr Mißverständnisse gibt.«

»Wie zum Beispiel das heute nachmittag am Kanal?«

»Ich wollte Sie sprechen, Byrum. Offensichtlich war ein so energisches Vorgehen aber nicht nötig, denn jetzt sind Sie ja da. Es gibt eben immer mal einen kleinen Regiefehler. Ich habe Rudge schon gesagt, daß man einen Mann wie Sie nicht einschüchtern kann. Ihre Einstellung mir gegenüber ist mir bekannt, und ich weiß auch, was Sie von der Organisation halten, die ich vertrete. Wenn Sie aber Ihre Bücher prüfen, werden Sie die ganze Angelegenheit gleich in sehr viel besserem Licht sehen.«

»Wieviel Prozent schluckt das Syndikat?«

»Vierzig Prozent.« Thayer lächelte. Wenn die eiskalten grauen Augen nicht gewesen wären, hätte dieses Lächeln fast freundlich gewirkt. »Es handelt sich dabei sozusagen um eine Rückversicherung — der Polizei und auch der Konkurrenz gegenüber. Letztes Jahr haben wir Ihnen ja nicht viel Schwierigkeiten gemacht. Es hat nur ein paar zerbrochene Fensterscheiben und Möbelstücke gegeben — nicht der Rede wert. Es hätte schlimmer sein können. Die Polizei läßt uns in Ruhe. Unser Gewinn steigt. Den Gästen gefällt es im Pelikan, und es steht bei ihnen, welchen der verschiedenen Amüsements sie sich zuwenden. Aber wir leben in einer anderen Zeit als früher. Heute ist kein Platz mehr für Einzelgänger. Wenn Sie Ärger machen, Byrum, indem Sie eigene Wege gehen, gibt’s auch woanders Ärger durch Streben nach Selbständigkeit. Deshalb haben wir Sie geschluckt. Wir haben Ihren Anwalt gekauft — Maury Harris — und Ihre Polizei — Sheriff Jergens. Sie sehen, wir haben an alles gedacht.«

»Und auch daran, Steve Dulaney aus dem Verkehr zu ziehen.«

Jetzt regte sich etwas in Thayers ausdruckslosen Augen. »Ein Mensch wie Dulaney paßt nicht mehr in die heutige Zeit. Er müßte eigentlich zu Pferd über seine Baumwollfelder reiten und seine Sklaven beaufsichtigen. Jemand wie er bricht sich früher oder später das Genick, wenn er gegen Windmühlen kämpft.«

»Und von Ihnen bekommt er noch einen Stoß, damit er’s recht bald tut.«

»Haben Sie schon mit Steve gesprochen?«

»Ich gehe nachher zu ihm.«

»Gut. Dann haben Sie wenigstens vorher gehört, was die andere Seite zu sagen hat, und Sie werden meinem Angebot, Ihren Anteil zu kaufen, aufgeschlossener gegenüberstehen.« Thayer lachte leise. »Sie sehen, ich gehe nicht lange um den heißen Brei herum. Uns gehört der Pelikan jetzt schon zur Hälfte. Und Ihre Hälfte wollen wir auch noch. Wir sind sogar bereit, uns großzügig zu zeigen. Es ist nicht nötig, daß wir Feinde sind, Byrum.«

»Etwas anderes können wir nicht sein.«

»Vielleicht helfen Ihnen siebzigtausend Dollar, Ihre Ansicht zu ändern?«

»Ist das Ihr Angebot?«

Thayer nickte. »Wir können es uns leisten, großzügig zu sein.«

Byrum hörte gedämpfte Musik vom Speisesaal heraufklingen, dazu das Klirren von Gläsern aus der Bar, begleitet von lautem Gelächter der Callgirls, die in Thayers Diensten standen.

»Der Preis ist zu niedrig«, erklärte Byrum.

»Ich habe dir ja gleich gesagt, daß man mit ihm nicht verhandeln kann«, bemerkte Rudge, an Thayer gewandt. Er warf Byrum einen feindseligen Blick zu. »Mein Vorschlag ist der einzig richtige.«

»Daß du immer alles mit den Fäusten machen willst«, bemerkte Thayer seufzend.

»Ich würde ihm schon Vernunft einbläuen.« Rudge sah Byrum haßerfüllt an. Er dachte daran, daß Byrum ihn vor einem Jahr aus dem Pelikan hinausgeworfen hatte, als Thayer zum erstenmal den Versuch machte, das Hotel an sich zu reißen. Rudge hatte lange auf seine Rache gewartet, und nun wurde er ungeduldig. »Überlaß ihn mir, Al. Ich mach das schon.«

Thayer kümmerte sich nicht um ihn, sondern sah Byrum nachdenklich an. »Wie soll ich Sie bloß überzeugen? Mit mehr Geld?«

»Nein.«

»Soll ich dafür sorgen, daß Steve freikommt?«

»Er ist kein Mörder.«

»Die Polizei glaubt aber, daß er jemanden umgebracht hat«, erwiderte Thayer.

»Die von Ihnen gekaufte Polizei. Ich weiß, daß Sie Steves Entlassung ebenso leicht erwirken können, wie Sie seine Festnahme erreicht haben.«

»Und soll ich es tun?«

»Nein.«

Thayer runzelte die Stirn. »Ihre Einstellung, mein Lieber, erschwert eine Einigung wirklich und macht es uns auch unmöglich, als Teilhaber zusammenzuarbeiten. Keiner von uns hat die Majorität. Wie sollen wir denn dann Entscheidungen fällen?«

»Gar nicht«, erwiderte Byrum.

»Ich habe gerade erst angefangen, aus dem Pelikan ein Geschäft zu machen«, sagte Thayer. »Aber ich habe große Pläne für die Zukunft. Zu meiner Überraschung macht es mir Spaß, ein Hotel zu leiten, und ich werde keine Einmischung von Ihnen dulden.« Er schwieg einen Moment, dann fügte er hinzu: »Zehntausend Dollar mehr?«

»Es ist zwecklos«, gab Byrum zur Antwort.

Er ging an Thayers Rollstuhl vorbei zur Tür. Rudge machte eine Bewegung, als wolle er ihn aufhalten, aber Thayer winkte ab. »Nein, Charles. Laß ihn mit seinen Freunden sprechen. Er wird bald einsehen, daß es besser ist, vernünftig zu sein.«

»Er ist doch bloß ein Waschlappen«, sagte Rudge. In seinen bernsteinfarbenen Augen lag ein gefährliches Glitzern. »Ich sag dir doch, dem kann ich leicht ein bißchen Vernunft in den Dickschädel prügeln.«

Wieder seufzte Thayer. »Ja, das könntest du sicher. Und Serena würde es Freude machen, dabei zuzuschauen. Aber es wird nicht nötig sein. Auf Wiedersehen«, fügte er, an Byrum gewandt, hinzu.

 

Byrum stieg die Treppe hinab und ging in den Garten hinaus. Die Sonne versank rotglühend am Horizont. Als er aus dem mit Klimaanlage versehenen Haus trat, schlug die Hitze wie eine heiße Woge über ihm zusammen. Gesicht und Rippen schmerzten ihm von den Schlägen und Fußtritten, die er erhalten hatte. Plötzlich übermannte ihn eine Erschöpfung, wie er sie vor seiner Verwundung nie gekannt hatte.

Drei Autos standen in der Garage hinter den Tennisplätzen. In allen steckten die Schlüssel. Die Tennisanlagen waren leer. Byrum dachte an Clemi und an den Kuß.

Er wählte gleich den ersten der drei Wagen mit dem weißen Pelikan an der Tür. Der Motor lief schon, als er hinter sich von der Garagentür her seinen Namen nennen hörte.

Sie war gelaufen, um ihn noch zu erreichen, ehe er losfuhr. Ihr Gesicht war schmal und herzförmig. Schwarzes Haar fiel ihr weich auf die Schultern. Die leuchtend blauen Augen waren groß und fragend auf ihn gerichtet.

»Mr. Byrum«, sagte sie, »ich bin Myra Thayer.«

Byrum stellte den Motor ab. Ihr Atem ging rasch. Daran war die Erregung schuld und nicht das schnelle Laufen. Sie warf einen Blick über die Schulter zum Haus zurück. Niemand war zu sehen. Ihre Brust hob und senkte sich heftig.

»Ja, bitte?« sagte Byrum.

»Kann ich mich zu Ihnen in den Wagen setzen? Ich möchte nicht, daß Rudge oder Alton mich mit Ihnen zusammen sieht.«

»Ja, bitte.«

»Ich... ich habe solche Angst. Schon seit Wochen habe ich furchtbare Angst. Das macht mich ganz fertig.«

Er öffnete die Tür, und sie schob sich neben ihn auf den Sitz. Myra Thayer sah sehr jung und sehr sensibel aus. Steve Dulaney hatte sich in seiner überschäumenden Kraft wahrscheinlich gerade für ihre zarte Schönheit begeistert. Sie war schlank, aber ihre Figur war nicht knabenhaft, sondern sehr fraulich.

»Sie haben bestimmt keine gute Meinung von mir, Mr. Byrum.«

»Sagen Sie ruhig Pete zu mir.«

»Danke.«

»Lieben Sie Steve?«

»Ja«, erwiderte sie halblaut. »Sehr. Hat es Ihnen Clemi erzählt?«

»Werden Sie sich von Alton Thayer scheiden lassen?«

»Er würde nie einer Scheidung zustimmen, weil... aber das läßt sich nicht mit zwei Worten erklären«, fügte sie hastig hinzu und sah wieder angstvoll über die Schulter. »Ich mache mir Sorgen wegen Rudge. Er läßt mich nämlich sonst nie aus den Augen.«

»Was wollen Sie von mir?« fragte Byrum.

»Weiter nichts, als daß Sie mir unvoreingenommen zuhören. Steve und ich konnten nichts dafür. Es... es ist geschehen, ohne daß wir es wollten. Ich habe Alton nie geliebt. Das hat Ihnen Clemi sicher schon erzählt.«

»Ja, das hat sie.«

Myra verzog den Mund zu einem bitteren Lächeln, aber ihre Lippen zitterten. »Ich bin wahrscheinlich sehr naiv gewesen. Meine Eltern haben mich zu sehr behütet. Ich wußte nicht, wie das Leben ist. Menschen wie Thayer und Rudge hatte ich nie kennengelernt. Ich... ich war so unglücklich. Ich hätte wirklich nicht gewußt, was ich machen sollte, wenn Steve nicht gewesen wäre. Wenn wir nicht unsere Liebe gehabt hätten.«

»Hat er wirklich jemanden umgebracht?«

Sie wurde blaß. »Aber nein! Ganz bestimmt nicht!«

»Wird Thayer ihm noch mehr antun, außer ihn ins Gefängnis bringen?«

»Ja. Deshalb bin ich auch das Risiko eingegangen, mit Ihnen zu sprechen. Damit Sie ihm helfen. Ich habe ein Gespräch zwischen Alton und Rudge mitgehört. Es bleibt nicht mehr viel Zeit.« Sie hob den Blick und sah ihn an. »Sie glauben mir nicht, nicht wahr?«

»Sie wollen, daß ich Steve beim Ausbruch aus dem Gefängnis helfe?«

»Ja, er muß ‘raus! Heute noch!« Die Hände in ihrem Schoß ballten sich zu Fäusten. Ihre Augen schwammen in Tränen. »Ja, ich weiß, Sie kennen mich nicht, und warum sollten Sie mir glauben. Ich kann es gut verstehen, daß Clemi mir nicht traut. Außerdem meint sie, wenn es mich nicht gäbe, dann wäre Steve auch nichts passiert.«

Sie biß sich auf die Lippen und wandte den Kopf ab. Byrum hörte sie leise schluchzen.

Sie schien tatsächlich so naiv zu sein, wie sie aussah. Armes kleines reiches Mädchen, dachte er. Man hat sie einfach an den Mann mit dem meisten Geld verkauft. Und der ist ein gelähmter brutaler Gangster in der Maske des seriösen Geschäftsmannes. Es war aber auch möglich, sagte er sich, daß Thayer sie hergeschickt hatte, um die Falle zu stellen, die Steve den Tod und ihn selbst ins Gefängnis bringen sollte. Möglich war es. Aber er glaubte es nicht.

»Entschuldigen Sie«, stieß Myra hervor. »Ich benehme mich sehr albern. Aber ich weiß wirklich nicht mehr aus noch ein. Und ich liebe Steve so sehr! Das müssen Sie mir glauben. Er liebt mich auch. Ich kann nichts dafür, daß Alton Steve aus dem Pelikan hinausgedrängt hat. Ich habe nichts davon gewußt und habe erst nachträglich, als Steve schon verkauft hatte, davon gehört. Erst als alles schon vorbei war, hat Steve es mir erzählt, und auch von seinen Spielschulden.«

»Warum hat er denn gespielt?«

»Er wollte schnell zu Geld kommen.«

»Und weshalb?«

»Damit wir zusammen flüchten konnten. Ich habe ihm gesagt, daß Geld dabei nicht wichtig wäre. Er sollte warten, bis Sie zurückkämen, und dann würden Sie ihm sicher seinen Anteil abkaufen. Aber er hat gesagt, das wäre Ihnen gegenüber unfair. Jeder Cent, den er besaß, steckte im Pelikan, und er wollte zu soviel Geld kommen, daß wir wegkonnten, ohne daß sich in den Besitzverhältnissen des Pelikan etwas änderte. Deshalb hat er gespielt. Und verloren. Er hat alles verloren, was er besaß. Und den Pelikan noch dazu.«

»Hat denn Thayer nichts von Ihren Beziehungen gewußt?«

»Wir haben geglaubt, er wüßte nichts davon. Aber wahrscheinlich stimmte das nicht. Und wahrscheinlich hat er es auch so arrangiert, daß Steve verlor — in dem Klub in New Orleans, wo er spielte. Dort wurde falsch gespielt. Vielleicht hat Alton von unseren Beziehungen gewußt und dafür gesorgt, daß alles so kam.«

»Jetzt weiß Thayer jedenfalls Bescheid?«

»Ja«, erwiderte sie mit gepreßter Stimme.

»Und deshalb will er Steve ins Jenseits befördern?«

»Ja. Mit Ihrer Rückkehr hatte er nicht gerechnet. Jetzt will er nicht länger warten. Heute nacht wird der Sheriff... die Sache erledigen. Ich weiß nicht wie. Deshalb will Steve Sie so schnell wie möglich sprechen.«

Byrum fand, daß alles, was Myra sagte, durchaus glaubhaft klang.

»Was ist mit diesem Fahey, den Steve umgebracht haben soll?«

»Das wissen wir nicht. Steve meint, es könnte schon so gewesen sein, wie sie behaupten. Er belauerte uns und war am Kai, als wir anlegten. Er war böse und frech, und Steve hat ihn niedergeschlagen.«

»Haben Sie das bei der Polizei ausgesagt?«

»Ja, natürlich. Ich habe Sheriff Jergens alles genauso erzählt, wie es passiert ist, aber dann kam Alton und sprach mit Jergens, und der Sheriff nahm meine unterschriebene Aussage und legte sie in ein Schreibtischfach, und dann war nie wieder die Rede davon.«

»Was sagt Maury Harris zu dem allen?«

»Ihr Rechtsanwalt?« Sie senkte den Blick auf ihre Hände. »Er hat sich geweigert, den Fall zu übernehmen.«

»Wirklich?«

»Ja. Er arbeitet nicht mehr für Sie oder Steve. Jetzt vertritt er Altons Interessen. Alton hat ihn genauso gekauft wie jeden anderen, den er brauchte.« Sie hielt einen Moment inne, dann setzte sie hinzu: »Es wird zu keiner Gerichtsverhandlung kommen, denn durch meine Aussage würde dem Richter klarwerden, daß es sich höchstens um Totschlag handeln kann. Aber das genügt Alton nicht. Er will sich an Steve rächen. Wenn Steve also heute nacht ein Unglück zustößt, bin ich daran schuld. Aber Sie glauben mir nicht, nicht wahr?«

»Ich habe mich noch nicht entschieden.«

Sie richtete sich auf und öffnete die Wagentür. »Wenn Sie sich dafür entscheiden, mir Glauben zu schenken, können wir uns dann heute abend noch einmal treffen? Um zehn vielleicht — hier hinter den Ställen? In der Nähe von Clemis Häuschen?«

Er nickte. »Gesetzt den Fall, ich helfe Steve, und er kommt frei. Was dann?«

»Steve und ich werden zusammen wegfahren.«

»Wohin?«

»Irgendwohin. So weit weg wie möglich. Wir werden schon durchkommen, auch wenn wir kein Geld haben.«

Byrum hatte das Gefühl, mit einem Kind zu sprechen. Myra machte sich offenbar keine Vorstellung von dem gefährlichen Unternehmen, in das sie sich einließ, wenn sie mit einem ausgebrochenen Häftling floh, während sie noch mit Thayer verheiratet war. Ein solches Abenteuer war von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Myra stieg aus und entfernte sich rasch. Er sah ihr nach und wartete, bis sie durch eine Seitentür im Haus verschwunden war. Dann ließ er den Motor an und fuhr in die Stadt.

 

Das Gefängnis von Oswanda war ein einstöckiges Gebäude, das am Rathausplatz stand, direkt gegenüber dem Hafen. Es war schon dunkel, als Byrum auf der Hauptstraße parkte und ausstieg. Neonlicht von den Bars, dem Fischrestaurant, vom Kino und von dem Mietwagenunternehmen erhellte die Straße. Einige junge Burschen lungerten auf den Bänken zwischen den Grünanlagen des Platzes herum. Die Augusthitze hatte das Gras versengt. Mückenschwärme tanzten sirrend unter den Eichen, die den Platz umsäumten.

Byrum betrat das Gefängnis. An der Vorderseite lag das Büro des Sheriffs, daneben befanden sich auf der einen Seite ein Lagerraum und auf der anderen die Toiletten. Hinter den beiden Schreibtischen — der zweite war für den ersten Hilfssheriff bestimmt — lag ein breiter Korridor, der zum hinteren Teil des Gebäudes führte. Er teilte den Zellenblock in der Mitte. Auf jeder Seite waren drei Zellen. Zwischen dem vorderen und dem hinteren Teil des Büros befand sich eine hölzerne Barriere mit einer Klapptür. Die stählerne Gittertür, die den Gang abschloß, der zwischen den Zellen lag, stand offen. Eine schwache Birne brannte im Korridor.

Sheriff Jergens saß am Schreibtisch. Er war seit neunzehn Jahren Sheriff, und in dieser Zeit waren sein Bauch und sein Bankkonto stetig gewachsen. Sonst war niemand zu sehen. Jergens trug eine helle Sommeruniform. Hinter seinem Sessel befand sich ein mit einem Schloß gesichertes Gestell, in dem vier Gewehre und zwei Schrotflinten standen. Unter den Armen des dicken Mannes bildeten Schweißflecke zwei große Halbmonde. Sein Kopf war völlig kahl, und die Fettpolster umgaben den Hals wie zwei dicke Ringe. Sein Hals war genauso breit wie sein Kopf, so daß dieser ohne Übergang wie eine Säule auf den mächtigen Schultern saß.

Jergens las Zeitung. Als Byrum eintrat, ließ er sie langsam auf die verschrammte Tischplatte sinken. Er legte die dicken Hände flach darauf und lehnte sich in dem quietschenden Drehstuhl zurück.

»Sieh mal an, Leutnant Peter Byrum von unserer glorreichen Marine«, sagte er mit öliger Stimme. »Na, aus dem Krieg heimgekehrt?«

»Nicht aus dem Krieg. Nur von der Reserveübung.«

»Ich habe doch gehört, daß Sie verwundet worden sind.«

»Das kam durch einen Unfall.«

»Aber ein Held sind Sie trotzdem«, sagte Jergens. »Soviel ich weiß, haben Sie dem Piloten das Leben gerettet.«

»Wenn Sie so schlau sind«, erwiderte Byrum ärgerlich, »dann wissen Sie ja auch sicher, was ich will.«

»Niemand hat damit gerechnet, daß Sie schon zurückkommen.« Die kleinen listigen Augen des Sheriffs blitzten spöttisch. »Aber da sind Sie nun und haben während Ihres kurzen Aufenthaltes hier schon allerhand erlebt. Erst waren Sie im Kettle-Fluß, dann haben Sie sich in Ihrer Wohnung mit Clemi Dulaney unterhalten, und zu Abend gegessen haben Sie auch. Danach hatten Sie eine Rücksprache mit Mr. Thayer — und jetzt sind Sie hier.«

»Sie sind wirklich gut unterrichtet«, sagte Byrum.

Jergens griff unter sich und nahm ein Schlüsselbund vom Haken. »Wahrscheinlich wollen Sie ein Schwätzchen mit unserem Ehrengast machen, was?«

»Ja, gleich. Aber erst möchte ich von Ihnen hören, was Steve vorgeworfen wird. Und damit es keine Mißverständnisse gibt«, fügte er mit harter Stimme hinzu, »Sie haben sich von mir schmieren lassen und dafür hinsichtlich des Spielkasinos im Pelikan ein Auge zugedrückt. Wir sind gut miteinander ausgekommen, Sie und ich. Aber damit ist’s jetzt wohl aus, was?«

»Ich kann mich nicht erinnern, Geld von Ihnen bekommen zu haben«, erwiderte Jergens ungerührt. »Und was Steve anbelangt — der Fall ist sonnenklar. Ihr Freund hatte es auf Thayers Frau abgesehen, dann hat er angefangen zu saufen und zu spielen wie ein armer Irrer. Mr. Thayer gefiel das nicht. Das kann man ihm ja wohl nicht übelnehmen, was?« Die kleinen listigen Augen sahen Byrum einen Moment prüfend an, dann fuhr er fort: »Wie lange sind Sie jetzt in Oswanda?«

»Ungefähr sechs Jahre.«

»Es hat Sie viel Mühe gekostet, den Pelikan aufzubauen.«

»Das kann man wohl sagen.«

»Und nun wollen Sie ihn sich durch Thayer wegnehmen lassen?«

»Nein.«

Jergens’ Lachen war wie eine Explosion. Es klang laut und schrill. Sein dicker Bauch wackelte. Als er die breiten Hände von der Zeitung nahm, sah man darauf die schweißgetränkten Abdrücke seiner Handflächen.

»Sie sind wirklich dümmer, als die Polizei erlaubt, mein Junge. Dabei habe ich doch gehört, daß Mr. Thayer Ihnen ein ganz anständiges Angebot gemacht hat.«

Byrum ging auf die Bemerkung nicht ein. »Sie und ich hatten uns doch ganz gut arrangiert. Aber wahrscheinlich bezahlt Ihnen Thayer noch mehr, damit Sie beide Augen zudrücken und nicht davon Notiz nehmen, daß das Syndikat jetzt auch unsere Stadt übernimmt.«

»Sie sehen Gespenster«, sagte Jergens spöttisch. »Natürlich bin ich im Pelikan gewesen und habe nach dem Rechten gesehen, aber dort wird auch nicht im geringsten gegen irgendein Gesetz verstoßen. Ein Spielkasino oder so etwas habe ich nicht gesehen.«

»Wieviel zahlt Ihnen Thayer denn jetzt?« fragte Byrum.

Jergens stand auf. Seine breite Nase glänzte, und die fleischigen Nüstern blähten sich wie bei einem Tier, das seinen Feind wittert. »Jetzt will ich dir mal was sagen, mein Junge. Reiß hier nur nicht zu weit das Maul auf, sonst wirst du dich noch wundern — verstanden?« Jergens atmete schnaufend. Die Luft im Gefängnis war heiß und stickig, eine Mischung von Fusel und Lysol, von Staub und Tod. Ein schwerer Colt steckte in dem Halfter, der unter dem riesigen Bauch des Sheriffs hing. Jergens stieß seinen Stuhl zurück und griff nach den Schlüsseln. »Jetzt gehen Sie ‘rein zu Steve. Er hat einen umgebracht. Daran ist nicht zu rütteln, und man wird ihm den Prozeß machen.«

»Sie haben Faheys Leiche nicht gefunden«, sagte Byrum.

»Wir suchen sie noch, und sie wird schon auftauchen. Ihr Freund Steve hat Fahey umgebracht. Er hat ihn totgeschlagen, weil Fahey gesehen hat, daß er’s mit Mr. Thayers Frau getrieben hat. So, und jetzt können Sie ‘reingehen und mit ihm reden.« Jergens hielt Byrum die Schlüssel hin. »Hier, nehmen Sie, ich vertraue Ihnen schon.«

»Nein, danke«, erwiderte Byrum. »Schließen Sie selbst auf.«

»Wieso?«

»Sie sollen die Schlüssel behalten. Während ich mit Steve spreche, können Sie mich bei ihm einschließen.«

Einen Augenblick sah ihn Jergens wütend an, dann grinste er. »Gar nicht so dumm, der Kleine«, sagte er. »Gar nicht so dumm, wie er aussieht.«